revise | Martin Pfeifle, Düsseldorf
Vorschlag einer skulpturalen Aneignung eines symbolaufgeladenen Platzes in Düsseldorf.
Erläuterungsbericht:
Bei der Beschäftigung mit dem Reeser Platz in Düsseldorf und der Durchsicht der umfangreichen Ausschreibung, bin ich über das Wort AUFMARSCHPLATZ gestolpert. AUFMARSCHPLATZ ist ein Wort, welches in meiner pazifistisch geprägten Welt, in der das Individuum an erster Stelle steht, direkt negative Assoziationen hervorruft. Bilder von großen gleichgeschalteten Menschenmassen, die Platz zum Formieren, Schreiten und Gruppieren brauchen; Bilder werden assoziiert, die mir schon immer ein Frösteln verursacht haben. Ansammlungen von Menschen hatte für mich schon immer etwas von einer übergeordneten Macht der schieren Masse, was sich bei mir immer physisch und psychisch mit negativen Gefühlen verquickt hat.
Hier greift meine Arbeit ein: Der bestehende Bodenbelag wird auf einer Fläche von 17,10 m x 55,5 m im mittleren Bereich aufgeschnitten und abgenommen. Dabei wird die exakte Breite des Denkmals und die Fluchtkanten der Eingangsbereiche der umlaufenden Mauer zugrunde gelegt. Diese Fläche wird in Quadrate aufgeteilt. Daraus resultiert eine Größe von ca. 4,27m x 4,27m pro Segment. Es entstehen 52 Segmente. 28 Segmente werden in einem Zufallsprinzip ausgewählt und in die dritte Dimension überführt.
Die Außenflächen der quadratischen Segmente werden in wellenförmig gelasertem 12mm Cortenstahl ausgeführt. Ein Segment wird ein Gewicht von 2t bekommen. Ausgefacht und verstärkt werden sie ins Mörtel Bett gesetzt, verfüllt und die Endschicht in Fächerform mit den alten Steinen ausgepflastert. Die Platzfläche wird wieder geschlossen.
Die höchsten Erhebungen sind Hüfthoch (ca. 90cm) um die Verkehrssicherheit zu gewährleisten. An den Kanten werden sich Schnitte und Mauern in Sitzhöhe ergeben. Meine Arbeit wird den künftigen Besucher*innen spielerisch ein neues Feld der Bewegung bieten, Bewegung fern ab von gemeinsamem Gleichschritt und Aufmärschen in
Gruppenformation. Der Platz wird auf radikale Art neu gedeutet. Ob Sie nun in sitzhohen Wellenbrechern Platz nehmen, der ob unebene Laufbereiche für Kinder und Erwachsene entstehen, der Große Platz soll von den neuen Formen positiv ein Aufmarschieren verhindern und auf nachdenkliche Weise eine neue Nutzung im Unebenen bieten.
Das Denkmal der 39er wird nicht angerührt. Es soll den Platz nach wie vor als mahnendes Bauobjekt prägen. Der Blick darauf bleibt frei, da sich die wellenartige Skulptur anstelle des Aufmarschplatzes nicht höher als das umlaufende Mauerband erhebt.
Die neue Art und Weise wie sich die künftigen Besucher*innen auf dem Platz bewegen, wird ein Nachdenken über den Kontrast zu der faschistisch geprägten Ästhetik hervorrufen.
Materialien:
Cortenstahl ca 2t pro Segment
Vorhandenes Pflaster
Lebensdauer und Pflegeaufwand:
Corten gilt als ewiges Material, das mit der Alterung und Patina schöner wird.
Es bedarf keiner extra Behandlung von Corten, da es einen natürlichen Graffitischutz besitzt.
Vandalismus hat auf diese Arbeit keinen Einfluss.
Die Pflasteroberfläche hält Skater fern.
Die Verkehrssicherheit wird durch die Form und eingehaltenen Höhen gewährleistet.
Zeitplan:
Ab Beauftragung wird eine Produktions- und Realisationszeit von 6 -10 Monaten beansprucht. von Stahlbau bis Pflasterarbeiten.


Begründung der Jury
1085
Die Verfasser*innen schlagen in ihrem Beitrag „Kritische Masse – Reeser Platz“ ein fraktales Relief vor, das den Bauriegel des Denkmals von allen Seiten umfasst und einkreist. Eine Masse aus schwarzem Asphalt und Schotter scheint aus der Erde aufzusteigen und sich lavaartig um das Denkmal zu verbreiten. Dabei entstehen unregelmäßige Hügel und Formen, die im starken Kontrast zu der neoklassizistischen Strenge und Ordnung der Anlage stehen. Die Jury begrüßt den souveränen Zugriff auf den Platz und das Denkmal. Durch den vorgeschlagenen Beitrag wird das Denkmal von allen Seiten „bloßgestellt“ und gut sichtbar. Die Relief-Soldaten auf der Vorderseite steigen in eine unübersichtliche räumliche Situation, die an Verbranntes und das Chaos und den Schrecken der Weltkriege erinnert. Der Ort wirkt deformiert und bedrohlich und erzeugt aus Sicht der Jury im positiven Sinn Irritationen. Dadurch werden nach Meinung der Jury starke Impulse dafür gesetzt, sich mit der Geschichte des Ortes auseinanderzusetzen. Positiv wird angemerkt, dass die Verfasser*innen gar nicht erst versuchen etwas an dem Ort zu verschönern oder zu mildern, sondern mit ihrer aggressiven Intervention die mörderische Funktion und Bedeutung der Anlage deutlich unterstreichen. Kritisch werden die Nachhaltigkeit und die Dauer dieser schockierenden Wirkung von Mitgliedern der Jury gesehen. Die in der Wettbewerbsaufgabe geforderte Kommentierung wird zwar geleistet, bleibt dabei aber plakativ und retrospektiv. Die dauerhafte symbolische und plastische „Kontaminierung“ des Ortes wird von der Jury als Belastung für die Anwohner*innnen gesehen. Die Jury verleiht der Arbeit „Kritische Masse – Reeser Platz“ abweichend zur in der Auslobung vorgesehenen Preisverteilung in Anerkennung der künstlerischen Leistung einen 4. Preis.

